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Es gibt nur eine Mutter. Ich habe jedoch viele Adoptivmütter; mindestens eine in jedem Land, durch das ich gereist bin. Und hier hat mir noch eine kurdische Mutter gefehlt. An diesem Tag war ich weiter unten als sonst und die Sonne und Hitze waren unerträglich. Wie üblich verließ ich das Haus, in dem ich ziemlich lange übernachtet hatte, und wusste bereits, dass ich nur + 400 Meter klettern musste, um in eine andere Stadt zu gelangen und oben im Schatten beim Essen zu entspannen. Aber als ich anfing, mit dem Rad hinaufzufahren, war ich extrem hungrig. Ich gab mir selbst das Versprechen, am Ende der kompletten Auffahrt zu Mittag zu essen. Aber ein paar Minuten später, als ich die zweite Kurve nahm, erschien von irgendwoher eine Frau, die mir ein „Chai?” und die Geste des Essens zeigte. Also legte ich das Fahrrad zur Seite und ging in den Garten, wo sie anscheinend schon mit dem Essen auf mich warteten: zwei Männer, ein Junge und sie selbst. Obwohl wir uns nur durch Gesten verständigten, nannte ich sie „Mama”, und sie antwortete mir mit „Anayan Asisi”. Im Grunde so etwas wie „meine liebe Ana, ich liebe dich”. Und so wurde ich an jenem Nachmittag während einer Siesta unter einem Walnussbaum zur Adoptivtochter Gulchins.
Women's Cycling Day
2020 feiern wir den ersten Radsporttag für Frauen, den Women’s Cycling Day. Er soll jährlich am zweiten Samstag im Oktober stattfinden und ist Radlerinnen aus den unterschiedlichsten Bereichen gewidmet. Wir nutzen diese Gelegenheit, um mit Ana Zamorano über ihre inspirierenden Erfahrungen als Solo-Radlerin, internationale Bikepackerin und Fotografin zu sprechen.
Ein interview mit Ana Zamorano
Damian – Hallo Ana! Es freut mich sehr, dass wir Dich in den letzten Jahren näher kennenlernen durften, seitdem Du mit unserem Adventure Team auf dem Outback durch die Welt radelst. Kannst Du uns ein bisschen mehr über Dich erzählen und näher darauf eingehen, wie Du auf Fahrradtouren und Bikepacking gekommen bist?
Ana – Also, ich komme ursprünglich aus einem Dorf im Grünen, das von wunderschönen Bergen in der Nähe von Bilbao und dem Kantrabischen Meer im Baskenland umgeben ist. Auch wenn die Berge im Baskenland nicht besonders hoch sind und es viel regnet, gehören Wandern, Radfahren, Klettern oder Surfen zu unserem Alltag. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ein Kind, jung oder im Ruhestand ist. Die freie Natur und draußen zu sein sind Teil unserer Identität.
Ich komme aus einer Familie, die gerne reist, also begann ich schon als Kind, die Welt zu erkunden. Wir haben den größten Teil Europas und ein paar Länder in Nordafrika bereist, aber auch ein bisschen von den USA gesehen… Es war großartig, mit einer anderen Perspektive auf die Welt aufzuwachsen und die Vielfalt selbst kennenzulernen. Aber erst mit 16 Jahren machte ich einen richtig großen Schritt und unternahm meine ersten Solo-Reisen mit dem Rucksack! Ich wurde schnell süchtig danach und arbeitete schließlich mit 18 Jahren zum ersten Mal ehrenamtlich in Nicaragua. Seit jenem Sommer, als ich mit ein paar älteren, verlassenen Menschen an einem Projekt arbeitete, hat sich mein Leben ziemlich verändert. Ich beschloss, die Sommerferien während meines Studiums der Kommunikationswissenschaften im Ausland zu verbringen und zu unterschiedlichen Zeiten ehrenamtlich in El Salvador, Gambia, Indonesien und Indien zu arbeiten.
Ich habe mich sehr gerne ehrenamtlich engagiert, weil man die Möglichkeit erhält, Einheimische zu treffen, auf dem Land zu leben und die gleichen Dinge zu tun wie die Menschen, die dort zu Hause sind. Aber irgendwann kam ich an einen Punkt, an dem ich mehr wollte ... und das Leben bringt einem gewöhnlich das, wovon man träumt. Als ich in Uganda auf dem Weg in den Dschungel war (per Anhalter, mit Moto-Taxis usw.), um den letzten Gorilla-Berg der Welt zu sehen, stieß ich auf meinen allerersten Bikepacker – und dieser Typ mit seinem Fahrrad hat mich ganz einfach umgehauen. Ich sprach ein paar Minuten mit ihm und wusste gleich, dass ich die Welt ab jetzt mit einem Fahrrad bereisen und all die Dörfer und Menschen kennenlernen wollte, zu denen ich bisher beim Reisen im Bus, Flugzeug, Auto oder Zug keinen Zugang finden konnte. Mein lang gehegter Traum, die Gorilla-Berge endlich in ihrer vollen Pracht zu sehen, ging schließlich in Erfüllung und wurde anschließend direkt von einem neuen Traum abgelöst!
Nach meinem Aufenthalt in Uganda erhielt ich eine Beförderung in Nordengland und lebte dort zwei Jahre lang – bis zu dem Moment, als ich zu 100 % bereit dafür war, mein Fahrrad endlich auf die Straße loszulassen! Zunächst bereitete ich mich drei Monate lang im indischen und nepalesischen Himalaja vor, studierte Yoga und Meditation und wanderte viel. Dann fühlte ich mich endlich bereit dafür, mit dem Radfahren in Südamerika zu beginnen – und genau das tat ich auch. Meine Radlerfreunde meinten, das würde ich nicht schaffen, aber genau das Gegenteil trat ein: Ich überquerte die Anden und radelte durch erstaunliche Landschaften, Dörfer und über steile Geländestrecken! Ich sagte mir ganz einfach immer wieder: „Doch, ich schaffe das!“
Nach fast eineinhalb Jahren flog ich nach Hause, um meine Ausrüstung zu wechseln. Anschließend durchquerte ich den Iran und den Kaukasus mit einem Outback 27,5 und Pinion. Das war übrigens großartig!
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Es gibt Momente, die nur schwer zu beschreiben sind; man sollte sie leben, um ihre Tragweite zu spüren und zu verstehen. An einem heißen Tag in Armenien, als ich gerade einen Pass erklomm, tauchte ein Auto auf. Ich bemerkte, dass ein Kind auf den Beinen eines alten Mannes sitzend fuhr. Als mich die beiden ansahen, machte ich so ein Gesicht: ? Das Kind machte die gleiche Geste zurück und schließlich lächelten wir beide. Als ich einige Stunden später mit dem Pass fertig war, stellte ich mein Fahrrad im Schatten ab, als eine Frau mit drei Schafen auftauchte. In diesem Moment hatte ich eigentlich nicht mehr viel Energie zum Reden, sondern wollte nur noch etwas trinken. Aber als sie darauf bestand, schaute ich bei ihr zu Hause vorbei und half ihr nicht nur im Garten, sondern erntete Honig, duschte, aß erstaunlich viel und molk die Kuh. Was für ein Zufall, als uns klar wurde, dass das Kind, dem ich auf dem Weg nach oben die Zunge herausstreckte, der Enkel dieser Frau war. Wir spielten und lachten einige Stunden lang zusammen.
Damian – Wie hat es sich kurz vor Deiner großen Tour angefühlt? Haben Dich die Leute ermutigt oder waren sie besorgt darüber, dass Du als junge Frau alleine reisen wolltest? Wie hast Du Dich mental darauf vorbereitet?
Ana – Mir wurde aus beiden Perspektiven Feedback gegeben. Einerseits, wie ich schon sagte, erzählten mir die Leute und einige Freunde lächerliche Dinge darüber, wie es sein würde, als Frau allein auf einem Fahrrad durch Südamerika zu reisen. Es ist wirklich schade, wenn nahestehende Freunde Dinge sagen wie: „Jemand wird dich vergewaltigen und wir werden dich dann in irgendeinem Wald auffinden.“ Und das wurde leider nicht nur einmal gesagt.
Zum Glück hat mich meine Mutter in meinem Vorhaben voll unterstützt und mich dadurch motiviert. Ich habe mir die schlechten Vibes und Kommentare der anderen nicht zu Herzen genommen. Wenn man von zu Hause Unterstützung erhält, dann ist das etwas ganz anderes. Meine Mutter sagte lediglich: „Ich bete dafür, dass Du auf Deinem Weg nicht an die falsche Person gerätst.“ Das ging mir natürlich genauso. Aber meiner Meinung nach kann einer Frau, die alleine unterwegs ist, überall etwas Schlimmes zustoßen – selbst wenn man irgendwo in seiner Heimatstadt spazieren geht. Ich glaube fest daran, dass 95 % der Menschen gut sind; und ich habe gute Gründe und Erfahrungen, die das bestätigen.
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Die schmale Straße, die nach Mestia führte, war zwar wunderschön, aber voller Marshrutka (Taxis), und die Touristen fuhren superschnell an mir vorbei. Ich hielt an, um unter einem Busch vor einem Haus zu essen, und stellte mir viele Fragen. Vor einiger Zeit habe ich gelernt, ein Land nicht nach den Menschen zu beurteilen, die ich in den Städten treffe. Während dieser Pause fragte ich mich, wie sehr sich die Georgier in Städten wohl von denen in den Dörfern unterscheiden dürften, umso mehr in einem so besonderen Nationalpark wie Swaneti, wo Kriege, die eigene Kultur und Konflikte zwischen Nachbarn die Vergangenheit beider Seiten geprägt hatten. Und ein wenig später, als mich meine Suche über endlose Hänge auf und ab führte, verbeugte sich Jdz (rechts) auf der Straße vor mir, während er Brennholz trug. Und was mit einem Kaffee begann, endete mit Essen und ... vielem mehr!
Damian - Wenn Du an Deine früheren Reisen zurückdenkst, welche Dinge hast Du schon am Anfang als Frau auf Solo-Touren mit dem Fahrrad gelernt? Und hat sich Deine Perspektive seitdem verändert?
Ana – Entscheidend sind das Bewusstsein und der Glaube an sich selbst. Ich sage normalerweise, dass alleinreisende Frauen, die mit dem Fahrrad unterwegs sind, sogenannte Alpha-Frauen sind. Sie sollten einen starken Charakter und eine ausgeprägte Persönlichkeit haben. Damit meine ich, dass sie nicht dem Gefühl verfallen, jemanden an ihrer Seite zu brauchen, um sich einer Solo-Tour zu stellen – auch wenn die Angst immer da ist. Wir stellen uns unserer Realität.
Da ich früher – mit dem Rucksack und ohne Fahrrad – allein reiste, konnte ich in verschiedenen Teilen der Welt etwas Vertrauen gewinnen und eine Menge Erfahrungen sammeln. Wenn man allein mit dem Fahrrad reist, muss man noch viel mehr lernen, denn man ist sozusagen der Kapitän seines Hauses, seines GPS, seiner Küche, seines Bettes, usw.! Ich habe gelernt, wie ich mich beim Zelten abseits von Straßen oder Dörfern verstecken kann oder wie ich mich am besten kleide. Ich kann zum Beispiel kein Crop-Top und keine Shorts tragen, wenn es heiß ist. Ich weiß auch, wie man betrunkenen Menschen ausweicht und wie man sich unangenehmen Situationen entzieht … es ist definitiv nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. Man muss sich nur auf sich selbst verlassen, ständig auf seine Gedanken und Gefühle hören und sich nicht zu sehr entspannen, wenn man zum Beispiel mit Männern zusammen ist. Ich suche außerdem erst einmal die Nähe zu den einheimischen Frauen und erkundige mich im Voraus, was man als Frau auf dem Fahrrad in einem bestimmten Land zu beachten hat. Als Frau eine Radreise durch den Iran oder den Kongo zu machen lässt sich zum Beispiel nicht mit einer Tour durch Australien oder Europa vergleichen.
Leider ist diese Art der Vorsicht angeboren und geschieht ganz unbewusst. Sie ist ein Teil von uns, sodass wir nicht ständig aktiv darüber nachdenken müssen. Trotzdem vertraue ich auf die Gutherzigkeit der Menschen weltweit, ganz gleich, welches Land oder welchen Ruf eine Region haben mag – ob Südamerika, Iran, Kaukasus ... einfach überall. Ich bin jeden Tag offen für die Begegnungen mit Einheimischen und ich denke, das kann man in meinen Fotos und Geschichten auf meinen Social-Media-Kanälen klar erkennen. Ich bin auf keine Probleme gestoßen, abgesehen von denen, die man überall auf der Welt haben könnte.
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Ein Radfahrer ist immer hungrig, sagte mir ein Kanadier beim Radfahren in Ecuador. Und ich schwöre, dass ich an diesem Morgen in der Kirche hungriger als sonst wach wurde und schon von der Abfahrt träumte, die uns in eine nahe gelegene Stadt führen würde. Dort würden wir endlich einkaufen gehen können. Die Kakerlaken hatten unser Brot gefressen und wir fanden ein paar Tage lang in keinem der kleinen Geschäfte Haferflocken. Das Frühstück erreichte uns jedoch früher als erwartet. Ich radelte den Abhang zuerst hinunter und hielt vor einer Schafherde an, während ich auf Oihane wartete. Ein Schäfer erschien mit einem laufenden Radio und einem kleinen Rucksack. Er fragte mich mit Hilfe von Gesten, ob ich alleine unterwegs sei und ob ich schon gefrühstückt hätte. Ich verneinte. Ihr könnt euch vorstellen und auch sehen, wo wir gelandet sind. Obwohl wir sehr darauf bestanden, dass er all das Essen für den ganzen Tag doch selbst bräuchte und wir bald in einer nahe gelegenen Stadt ankommen würden, sagte er nur „Nyet-Problem, nyet-Problem”, was soviel bedeutet wie „kein Problem”. In Armenien kennt Gastfreundschaft keine Grenzen.
Damian - Deine Porträtaufnahmen sind sehr persönlich, direkt und mutig. Wenn die Leute mit Deiner Kamera (oder sogar mit Deinem Fahrrad) konfrontiert werden, verändert das die Art und Weise, wie sie Dich sehen oder mit Dir interagieren?
Ana – Auf jeden Fall! Ich habe das Gefühl, dass allein das Fahrrad die Menschen, die ich auf meinem Weg treffe, dazu bringt, mich aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Es ist schön, wenn die Einheimischen einen nicht als „reichen Menschen aus einem westlichen Land“ abstempeln. Ganz im Gegenteil! Sie sehen Dich als eine mutige, (auf eine gute Art) verrückte und starke Person – und das noch viel mehr, wenn man als Frau alleine reist. Sie öffnen ihre Häuser und ihr Herz für Dich. Über diese Tatsache habe ich viel nachgedacht, denn die Menschen haben mir auf allen meinen Reisen Essen, Unterkunft und Zuwendung gegeben. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht habe ich mich immer gefragt, warum das so ist. Nach vielen Stunden auf dem Rad wurde mir klar: Fahrräder gibt es überall auf der Welt. Das Fahrrad ist so ein einfaches und günstiges Fortbewegungsmittel und es spielt keine Rolle, wie reich oder entwickelt das Land ist. Einheimische fragen mich, warum ich mit dem Fahrrad reise, manchmal auf Spanisch (Südamerika), manchmal mit Schildern, und ich sage immer: „Ich hätte Euch nicht getroffen, wenn ich mit dem Bus gekommen wäre.“ Daraufhin lachen und nicken sie für gewöhnlich.
Mit dem Fahrrad zu reisen ist für mich als Filmemacherin und Fotografin einfach perfekt. Genau diese Menschen habe ich auf meinen Rucksack-Touren vermisst: Kleine Dörfer in weiten und abgelegenen Landschaften. Ich habe einer Familie beim Erdbeerpflücken im iranischen Kurdistan geholfen, eine Kuh im Kaukasus und ein Kamel im Iran gemolken, ich half einem Schmied in Peru, unterhielt mich in Kolumbien über Wildpferde und bestieg mit einheimischen Frauen in Bolivien einen 6000 Meter hohen Berg ... Meine Porträts sind das Ergebnis einer schönen Zeit, die ich mit verschiedenen Arten von Menschen in ihrer Umgebung verbracht habe.
Ich halte mich auch für einen freundlichen Menschen und bin mir ziemlich sicher, dass dies ein Vorteil für meine Fotografie ist. Ich kann Menschen so porträtieren, wie sie sind. Mehr brauche ich nicht. Ich möchte nur die Geschichte hinter diesem Porträt festhalten und erzählen, indem ich in die Augen der Person auf dem Bild blicke. Ich wähle meist Länder mit starken Traditionen und kultureller Identität, weil sie mich inspirieren. Ich bin in der Lage, Bilder zu erstellen, die diese starke Identität widerspiegeln, indem ich meine Gefühle einbringe und überall Mitgefühl zeige.
„Filmemacherin, Fotografin und vor allem Mensch.“
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„Hast du nicht langsam genug vom Reisen?” Die einzige Lehrerin an der Schule in der kleinen Stadt, in der wir zelten waren, schickte ihren Mann zu unserem Zelt und lud uns ein, bei ihr zu übernachten. Wir teilten ihm mit Gesten mit, dass er sich keine Sorgen machen müsse, dass alles in Ordnung sei und dass wir uns morgen Früh treffen würden. Aber er bestand sehr darauf, dass wir zu ihm nach Hause kämen, und obwohl wir schon zu Abend gegessen hatten, folgten wir seiner Bitte. Nach dem Tee sagten wir, dass wir sehr müde seien und uns morgen früh verabschieden würden. Das taten wir auch, nachdem wir einige Meter vor dem Haus der Frau gezeltet hatten. Aber was wir am wenigsten erwartet hatten, war, dass ihre Tochter – die als Programmiererin in Dänemark arbeitet – an diesem Tag ihren Geburtstag feierte. Die Frau war sehr traurig darüber, nicht bei ihr sein zu können. Ich dachte an meine Familie, denn ich war die letzten acht Geburtstage unterwegs. Und ich teilte ihre Gefühle, obwohl ich keine Mutter bin. Ich kann ich ihre Emotionen in mir selbst finden und mich in sie einfühlen. Es machte mir also nichts aus, den Morgen mit ihr zu verbringen, während sie mir die Wollpullover zeigte, die sie gestrickt hatte, oder den Honig, den sie jeden Sommer aus den Waben nehmen, oder die Bilder von sich selbst, als sie noch so jung war wie wir. An diesem Tag begannen wir sehr spät mit dem Radfahren, aber das war mir egal. Wir lernten voneinander und verschönerten uns gegenseitig ein wenig den Tag. Dank dieser Momente bekomme ich niemals genug vom Reisen..
Damian - Du sprichst oft mit Kindern in Schulen über Fahrradtouren – welche Fragen stellen sie Dir und welche Botschaft willst Du ihnen mit auf den Weg geben?
Ana – Ich liebe Kinder. Diese Gespräche haben mir am allerbesten gefallen! Eine Schule aus meinem Dorf rief mich an, weil sie wollten, dass ich einigen Schülerinnen und Schülern (sechs bis acht Jahre alt) die Vielfalt der Kulturen, der Kleidung, der Ruinen usw. erkläre, die es auf der Welt gibt. So kreierte ich eine einfache und starke Botschaft für sie, die auf Respekt und dem Teilen von Werten basiert. Ich tauchte mit dem vollbepackten Outback auf, damit sie auch meine Packtaschen anfassen und erforschen konnten. Sie waren einfach nur erstaunt und sahen mich an, als sei ich ihre neue Heldin!
Die Fragen von Kindern sind bei weitem die besten, da sie nicht die gleichen Filter und Vorurteile haben wie Erwachsene. An einer Stelle sagte ich: „Ich habe in Argentinien angefangen!“ und wies auf die Karte; ein Kind fragte mich sofort, wie ich mit dem Fahrrad auf dem Wasser (dem Atlantik) dorthin gelangen könnte. Sie sind einfach so unschuldig und arglos!
Als ich ihnen zeigte, wie man mich auf meinen Reisen behandelt hat, gab es einen weiteren Fall, der mich wirklich sehr geprägt hat. Ein Kind fragte: „Was ist, wenn der Schäfer auf dem Bild Dich in sein Haus einlädt und dann sein Verhalten ändert, sobald ihr drinnen seid? Was würdest Du in so einem Fall tun?" Ehrlich gesagt fehlten mir die Worte, um darauf zu antworten.
Aber das Beste war, als ich mit ein paar Freunden in einer Bar in meinem Dorf etwas trinken war. Zwei Mädchen traten an mich heran, um „Hallo“ zu sagen und mir zu erzählen, dass sie von China nach Japan radeln wollten. Ich blickte die beiden an und war so unglaublich stolz!
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Der Zauber der Straße. Die Intuition führte mich erst auf einen falschen Weg nach unten, nur um mich anschließend zu belohnen. Als wir auf die Schafherde stießen, fanden wir nur wütende Hunde vor. Doch plötzlich kam ein großer, schlanker Mann einen Abhang heruntergerannt. Unser Retter. Er schrie seine sieben Hunde an und bewaffnete sich mit mehreren Steinen, um sie zu erschrecken; wir mussten durch die Mitte der Herde gehen und die Hunde taten plötzlich nur noch ihre Arbeit. Als wir den Schrecken verdaut hatten, lud uns dieser gleichaltrige Mann durch Gesten auf einen Kaffee ein und zeigte auf sein Haus auf dem Hügel. Und da ich nicht nein sagen konnte, half er uns dabei, unsere Fahrräder nach oben zu schieben. Es gab nicht nur Kaffee, sondern auch Schokolade, Saft, Kekse ... Wir trafen seine Welpen, seinen Bruder – bei dem er lebt – und durften sogar eines seiner Pferde reiten. In diesem Moment fühlte ich mich wie der glücklichste Mensch der Welt; die Belohnung war, von wunderschönen Tieren umgeben zu sein, inmitten von Hängen in sattem Grün. Was wollte ich mehr?
Damian – Das ist ein großartiger Aufhänger für die nächste Frage. Hast Du einen Rat für andere Frauen, die an einer Tour interessiert sind, aber vielleicht noch zögern, tatsächlich loszuradeln?
Ana – Ganz einfach: Macht Euer Rad startklar und radelt los! Lasst Euch nicht von der Negativität der Medien abhalten und lest am besten auch keine Mainstream-Zeitungen. Folgt einfach Eurem Traum und verwirklicht das, was ihr machen wollt. Wenn Ihr das Gefühl habt, dass Ihr noch nicht genug Selbstvertrauen habt, dann könnt Ihr auch jederzeit mit einem kleinen Abenteuer beginnen, wie zum Beispiel einer Übernachtung oder einem Wochenendausflug an einem Ort, den ihr gut kennt, oder in einem Land, das ihr für sehr sicher haltet. Es gibt viele Routen durch Europa, auf denen man Angebote wie „Warmshowers“ oder „Couchsurfing“ nutzen kann, anstatt die meisten Nächte zu zelten.
Es gibt auch einige Facebook-Gruppen für Frauen, die mit dem Fahrrad unterwegs sind und Radtouren machen. Dort kann man seine Meinung, Ängste, gefahrene Strecken, Standpunkte usw. mit anderen austauschen. Das ist sehr spannend, weil man auch mit vielen ähnlich gesinnten Menschen in Kontakt kommt und auf diese Weise Unterstützung erhält.
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Nicht alle Momente sind immer nur schön. Vor allem dann, wenn ein Mann mit seinen drei Kindern dich auf einen Kaffee einlädt und du die Einladung wie immer annimmst, bis du schließlich doch Alarm schlagen musst. Meine Freundin Oihane besuchte mich für drei Wochen in Armenien und es war das erste Mal – in zwei Jahren des Reisens – dass ich ein Haus so schnell verlassen hatte. Wir ritten ein paar Pferde, knuddelten die Tiere der Familie und nach dem Kaffee suchte meine Freundin die Toilette auf. Ich merkte nicht, dass ihr der Mann gefolgt war und Gesten machte, die auf Sex anspielten, ???? sobald er mit ihr alleine war. Innerhalb weniger Sekunden kam sie zurück in den Raum und sagte: „Ana, lass uns gehen.” Ich verstand kein bisschen, was passiert war, aber ich verabschiedete mich schnell von seinen Kindern. Sie verstanden die Situation noch viel weniger als ich und wir entschuldigten uns damit, keine Zeit mehr zu haben. Wir müssen also immer wieder Ausreden erfinden. Immer achtsam sein. Immer ausgeliefert sein. In Armenien, in Frankreich, in Japan oder im Iran. Meine Freundin reagierte mit einem klaren NEIN und ging davon. Aber was wäre passiert, wenn er sich ihr aufgezwungen hätte? Solche Fälle werden mich nie dazu bringen, nicht mehr alleine zu reisen; aber dieser Vorfall hat mich auf jeden Fall über all die Frauen nachdenken lassen, die nach einem „Nein” leiden mussten und das Verbrechen niemals melden konnten.
Mehr von Ana Zamorano
Lesen Ana's Bericht über eine Soloradfahrerin bei Bikepacking.com: NOT ONLY MOUNTAINS: BIKEPACKING IRANIAN KURDISTAN